Zeit für einen Blog

50 Pianos

Vor ungefähr einem Jahr hatte ich einen Traum. Ich träumte davon, inmitten einer Recherche eines Projektes zu sein, welches ein Mann leitete. Er war Lehrer oder Sozialarbeiter und vermutlich Künstler und Musiker. Das Projekt war für Jugendliche gedacht, möglicherweise für eine Schule. Ich befand mich in einem riesigen Raum, mit hoher Decke. Es sah aus, wie eine Industriehalle. Überall im Raum standen nagelneue E-Pianos verteilt, welche die Jugendlichen benutzen durften.

 

Ich sprach mit dem Mann und er erzählte mir, wie er zu den Pianos gelangt ist. Er beantragte für sein Projekt diese Pianos, doch im Vorfeld wurde ihm von einer höheren Instanz mitgeteilt, dass kein Budget vorhanden ist, dass es kein Geld für auch nur ein Piano geben wird.

 

Was mir der Traum nun vermittelte, kam nicht mehr in Worten oder Bildern zu mir, sondern in Stimmungen und Empfindungen.

 

Der Projektleiter hatte eine klare Vision. Er glaubte an sich und an seine Idee und wusste, dass es auf die Welt gebracht werden darf. Er war in starker Verbindung mit sich selbst. Die Begrenzung von Aussen zeigte ihm auf, dass er noch tiefer in sich gehen kann und sich noch mehr mit seiner Idee verbinden soll. Dies tat er auch und beantragte aus dieser Verbindung heraus 50 E-Pianos. Dem Antrag wurde stattgegeben. Er konnte sein Projekt umsetzten und zwar so umfangreich, wie er sich gewünscht hatte. Jetzt konnte er so arbeiten, dass sein Projekt die volle Wirkung entfaltete.

Beim Schreiben frage ich mich, was genau dieser Mann mit seiner Arbeit macht und bewirkt und horche in mich hinein.

 

Der Projektleiter lässt Jugendliche mit familiären oder schulischen Schwierigkeiten hier den Raum, um persönliche sowie gesellschaftsrelevante Themen zu bearbeiten - auf ihre Weise. Er führt sie, gibt ihnen Raum und auch Struktur - greift das auf, was im Raum steht. Er steht für diese Weise der Arbeit ein. Er kennt die tiefere Bedeutung seines Handelns und seiner Präsenz. Er gibt den Jugendlichen - vor allem den männlichen - Halt. Er nimmt sie ernst und trotzdem lässt er sie zeitweise die schwere der Ernsthaftigkeit vergessen. Er berührt den Kern ihres Seins. Dadurch kann sich etwas in den Jugendlichen öffnen, sie sind ganz Nahe bei sich. Sie gehen dort hin, um sich dem Leben zuzuwenden und sich auszudrücken. Sie nehmen es hin - sehen es als gewollte Herausforderung - dass es nicht immer einfach ist, sich selbst zu begegnen. Sie lernen die Herausforderung zu geniessen und über Fehltritte zu lachen - selbst wenn es manchmal schmerzhaft ist. Sie sehen, dass auch andere Menschen, Jugendliche, auf ihrem Weg sind und lernen, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu achten.

 

Danach gehen sie in ihre anderen Lebensbereiche - gestärkt mit Zuwendung, Musik, Gedanken, Begegnungen, Zeit und Raum und erleben sich neu, bringen sich in die Welt und sehen sich als wertvoll, genau so, wie sie in ihrer Tiefe sind.

 

 


 Schon die erste Botschaft, die mir dieser Traum vermittelte, berührte mich tief. Er sagte mir, dass ich an das, was ich in mir trage glauben soll und es mit einer authentischen und bestimmten Klarheit einfordern kann. Es ist mehr davon, da, als ich ahne. Widerstände von aussen zeigen mir die Widerstände in meinem Innern. Diese gilt es, anzunehmen und zu verändern. Erst mutig nach innen gehen und dann mutig nach aussen treten.

 

Und erst jetzt beim Schreiben sehe ich, was noch alles da ist. Erst jetzt, während ich in die Tiefe gehe und etwas wage - den Traum in Worte fasse, mich ausdrücke und genau hinsehe - kann ich noch mehr erkennen.

 

Ich sehe hier meine Motivation, mit Menschen - in diesem Fall mit Jugendlichen - zu arbeiten. Und ich sehe, wie wichtig es ist, mit mir in Verbindung zu stehen. Damit ich bei meiner Arbeit und auch sonst in meinem Leben einen Raum schaffen kann, der mich und andere sein lässt, wie sie sind. Sein lassen bedeutet in diesem Falle, dass das berührt wird und sein darf, was wirklich in der Tiefe zu mir und anderen gehört.   

 Es gibt mir Klarheit, was gerade wichtig ist, was gesagt werden soll und was nicht - leere Worthülsen müssen gar nicht erst produziert werden. Die Verbindung lässt mich veraltete Überzeugungen und Beurteilungen erkennen - und es lässt mich mein eigenes Wesen in allen Lebensbereichen aufleben - auch in meiner Arbeit, die mir so wichtig ist.

 

So habe ich es mir zum Ziel gesetzt, immer mehr in Gesellschaft meiner Selbst zu sein und mir Nahe zu sein, die Arbeit nicht von meiner Persönlichkeit und meinem Wesen zu trennen - um erfüllt zu sein, wenn ich mit Jugendlichen und anderen Menschen arbeite, sei es in der Pädagogik, in der Gewaltprävention, in der Theaterarbeit oder im Coaching.